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Ikaria

Licht und Wärme durchströmt einem

Mit seinen grünen Wäldern, Schluchten und versteckten Dörfern gilt die ostägäische Insel Ikaria unter Genusswanderern als Geheimtipp. Eine Gruppe Ikarioten markiert mehr und mehr die traditionellen Wege.

Die Freundlichkeit und der gemächliche Lebensstil der Inselbewohner machen aus der Insel ein Paradies für erholsame Wanderferien.

Erschienen im Wandermagazin Schweiz
Erfasst von Peter Kleiner

08. Juni 2021

„Wenn ich an Ikaria denke umspült mich eine Welle von warmem Licht“, erinnert sich der griechische Komponist Mikis Theodorakis an die gebirgige Insel östlich von Samos. Während des griechischen Bürgerkrieges (1947-1949) wurden Aktivisten der linken Volksfront von der national-konservativen Regierung auf die armeselige Insel deportiert. Rund 15'000 Partisanen und linke Aktivisten verbrachten ihre Verbannung dort. Theodorakis war zwei Mal auf Ikaria, bevor er Anfang 1949 ins berüchtigte Konzentrationslager auf Makronissos verfrachtet wurde. Für trotzdem nostalgische Gefühle sorgen beim heute fast 90-jährigen Komponisten der Filmmusik von Alexis Sorbas die Schönheit der Insel und die Herzlichkeit der Menschen. Sie hätten, trotz Armut und Hunger, die Türen geöffnet und sie wie Brüder aufgenommen.

Mit einer Wandergruppe von Imbach reiste ich zum ersten Mal hin, um das warme Licht und die Gemächlichkeit der Insel wandernd zu erkunden. „Alles ist immer etwas anders auf Ikaria“, kündigte unsere bestens mit dem Inselleben vertraute Imbach Wander- und Reiseleiterin auf der kurzen Schiffsreise von Samos nach Aghios Kirykos an. Ikaria - etwas grösser als der Kanton Zug - ist eine grüne Insel. Schon auf der Überfahrt riecht man den harzigen Duft der Pinienwälder. Im Gegensatz zu vielen Inseln der Ägäis bekommt dieser „Berg im Meer“ reichlich Niederschläge. Zahlreiche Schluchten durchziehen die Nordseite der Insel, Eichen und Pinien prägen die Landschaft.

Und schon nach der Ankunft auf der Insel und der Busfahrt an die Nordküste wird deutlich, die Ikarioten pflegen einen ruhigeren Lebensstil als etwa die Samioten: Keine halsbrecherischen Überholmanöver. Wenn ein Fahrzeug im Weg steht wartet man einfach, bis man weiterfahren kann. Gehupt wird selten. Alles mit der Ruhe - auch in der Taverne.

Weit verstreute Dörfer

Wegen der Piraten, die vor etwa 500 Jahren die Gewässer um die Insel unsicher machten, versteckten sich die Inselbewohner in den Bergen. Christos Raches, Aghios Polykarpos, Akamatra oder Kastanies auf der Nordseite sind weit verstreute Dörfer. Heute begünstigen jedoch der fruchtbarere Boden und die zahlreichen Quellen diese lockere Siedlungsform. Bis in die 70er-Jahre gab es in Ikaria kaum Strassen. Fusswege vernetzten die Dörfer. Seither wurde eine geteerte Strasse von Aghios Kirykos und Evdilos gebaut, daneben gibt es Stichstrassen in die grösseren Dörfer, alles andere sind bestenfalls Holperpisten. Noch existieren aber die traditionellen Pfade zwischen den Dörfern, die es für Wanderer zu entdecken gilt. Und sie werden vom 2008 gegründeten “Wanderverein von Ikaria” um Angelos Kalokairinos aus Aghios Polykarpos gepflegt. Eine genussvolle Wanderung ist der Weg von der Nordküste ins verschlafene Dorf Dhroutsoulas. Bei der Kapelle Aghios Ioannis an der Haupttrasse steigt der oft noch gepflästerte Monopati durch lichten Wald mit verstreuten kleinen Bauerhöfen in die Höhe. Früher waren hier wohl zahlreiche Ikarioten mit ihren beladenen Eseln unterwegs, oder Kinder auf dem Weg in die Schule. Erst im letzten Moment ist der Turm der Kirche Dhroutsoulas zu sehen, umgeben von ein paar Häusern. Das Dorf galt früher als Hochburg der KKE, der orthodoxen Kommunisten, die noch heute auf der ganzen Insel das Sagen haben. Doch hier es ist still geworden, ein älterer Mann fragt nach einer Zigarette und verschwindet dann in einem Haus.

Die Höhe haltend geht es in ein Tal, in dem terrassierte Felder, Bewässerungskanäle und Häuser ohne Däche von einer Zeit zeugen, in der auf der Insel jede verfügbare Ackerfläche genutzt wurde, um die zu vielen Menschen zu ernähren. Ikaria war bis Ende des letzten Jahrhunderts eine Insel der Auswanderung. Bevorzugtes Ziel waren die USA, genauer gesagt Pittsburgh mit seiner Stahlindustrie. Zumeist gingen die Männer. Im Zweiten Weltkrieg, als die Insel von den Italienern und den Deutschen besetzt war, versiegten die Zahlungen. In Ikaria herrschte grosse Not. Wer die Insel nicht verlassen konnte litt Hunger, zahlreiche Menschen starben.

Durch Felsen steigt der breite Weg nach Akamatra, einem weiteren malerischen von Wald umgebenen Streudorf. Zurück an die Küste gibt es verschiedene Wege, den direkten Wanderweg nach Evdilos erwischen wir nicht, stattdessen einen verwachsenen Pfad. Ab und zu raschelt es und eine Schlange sucht das Weite. Angelos und seine Wanderfreunde planen unsere Variante bald als „Weg des Salbeis“ wieder frei zu machen und zu markieren.

Von Norden nach Süden

An der wilden Südküste der Insel gibt es nur wenige Dörfer. Erst in den letzten Jahren wurde ein Teil mit Strassen erschlossen. Noch immer verbindet ein kleines Kursschiff drei Mal die Woche die Dörfer. Wenn im Dorf Manganitis früher eine Geburt anstand, wurde die Hebamme auf der anderen Inselseite gerufen. Zu Fuss musste sie von Kastanies im Norden über die auf 850 Metern gelegene Ammoudhia-Ebene hinunter ins Küstendorf steigen; bei jedem Wetter, im Sommer wie im Winter. Durch die Pinienwälder oberhalb von Kastanies steigt  der Weg – heute eine ruppige Naturstrasse - hinauf zur kahlen Ebene von Ammoudhia und Erifi.

In prähistorischer Zeit habe es hier oben grosse Eichenwälder gegeben, weiss Angelos. Erosion und die grossen Temperaturschwankungen hätten später die kahlen Felsen gesprengt, abgeschliffen und so die bizarren Felsformationen geschaffen, die wie Statuen auf der Hochebene stehen. Bäume gab es bis Mitte des 20. Jahrhunderts, doch die 35'000 Ziegen auf Ikaria machten diesem Wald den Garaus. Im Winter könne es hier oben Frost und Schnee geben. Häufig hüllt dicker Nebel das Gebiet ein. Um dann den Weg für die Hebamme oder andere Reisende zu markieren, stellten die Ikarioten Steine auf, die über die für die Orientierung schwierige Wegstrecke halfen. Wenn Not war, konnte die Hebamme in einem Steinhäuschen übernachten, was bis in die 60er Jahre vorkam.

Ikaria ist ein Pultberg, der zu seiner Südküste steil abfällt. Der Weg windet sich nun steil zwischen Felsen und später durch Erdbeerbäume und Pinien hinunter zur stets sichtbaren Küste von Manganitis. Dort wartet das Bad im tiefblauen Meer. Später bringt der Bus die müden Wanderer auf der neuen Strasse über das Atheras-Gebirge zurück an die liebliche Nordküste, nach Armenistis.

Zurzeit plant der Wanderverein einen Höhenweg , der von Fanari im Osten der Insel über den höchsten Gipfel, den Efanos, bis zum im äussersten Westen gelegenen Leuchtturm am Cavo Papas führt. Für diese Traversierung in teilweise 1000 Metern Höhe sind wohl drei bis vier Tage nötig.

Auf Ikaria ist das Wandern bei den Inselbewohnern wieder in Mode. Seit Ausbruch der Krise in Griechenland würden auch zunehmend jüngere Leute wandern. „Der Fokus liegt halt mehr auf dem, was man hat“, glaubt der 57-jährige Angelos. Dass in der Krisenzeit das einfache Leben auf Ikaria auch für viele Städter wieder eine Perspektive bietet, zeigt die in den letzten Jahren wieder leicht steigende Einwohnerzahl. Unter ihnen ist die 39-jährige Xenia Apostolopoulou, die vor einigen Jahren Athen den Rücken gekehrt hat und nun neben ihrer Imkerei auch die Wanderwege markiert.

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