Schneeschuhzauber rund um Bivio
Wer unverfälschte Natur und die Stille der Berge sucht,
wird beim Schneeschuhwandern im Parc Ela das wahre Herz der Schweizer Alpen
entdecken. Eine der bekanntesten Touren führt auf den Septimerpass.
verfasst von Franz Koch, IMBACH Wander- & Reiseleiter
erschienen im WANDERMAGAZIN SCHWEIZ
29. Januar 2025
Ausgangspunkt ist Bivio, ein malerisches Bergdorf und oft als «Perle am Julier» bezeichnet. Es ist bekannt dafür, dass hier die rätoromanische, italienische und deutsche Sprachkultur aufeinandertreffen. Ein wunderbarer Morgen zeichnet sich ab. Es ist kalt und die Sonne wird noch von der imposanten Roccabella verdeckt, als sich unsere Gruppe mit Schneeschuhen und Lawinenausrüstung auf den Weg macht. Für gut eine Stunde folgen wir dem Winterwanderweg Richtung Cadval und La Motta. Begleitet werden wir von Skitourengängern, von denen die meisten die Roccabella zum Ziel haben. In den letzten Tagen hat es geschneit, und so verleiten die unberührten Schneefelder dazu, neue Spuren zu legen.
Der Septimer ist ein historischer Gebirgspass, der schon zu Zeiten der Römer als wichtige Verbindung zwischen dem Norden und dem Süden diente. Er liegt auf 2310 m ü. M. und verbindet das Oberhalbstein mit dem Bergell und dem italienischen Veltlin.
Wir folgen nun den Spuren aufwärts, die Gegend wir immer einsamer, und nach zwei Talstufen sind wir auf der Hochebene Plang Camfer angelangt – und plötzlich allein. Alle anderen Spuren führen zu Skitourenzielen, die letzten Richtung Pass Lunghin und Maloja. Jetzt heisst es selbst spuren. Als Orientierung dienen neben der Karte die violetten Holzpfähle (wenn man sie denn sieht). Der Schnee hat sich noch nicht stark gefestigt, und so bedeutet jeder Schritt ein erhebliches Einsinken, verbunden mit einem entsprechenden Kraftaufwand. Die Gruppe beschliesst, diesen zusätzlichen Aufwand in Kauf zu nehmen und weiterzugehen. Die Männer unterstützen sich beim Spuren mit vereinten Kräften. Ein Blick zurück entschädigt für die Mühe: Wunderschön, diese Spur im unberührten Schnee. Nach der Hochebene dann die letzte schweisstreibende Talstufe. In weiten Kehren legen wir unsere Spur an und erreichen schliesslich nach knapp vier Stunden den Septimerpass.
«IN DEN ABGELEGENEN TÄLERN FINDET MAN NICHT
NUR DIE STILLE, SONDERN AUCH DAS WESEN UNSERER
HEIMAT – GEFORMT DURCH DIE NATUR, STARK IM CHARAKTER.»
GOTTFRIED DUTTWEILER, GRÜNDER DER MIGROS
Traditionelle Gastfreundschaft
Vor dem verdienten Mittagslunch aus dem Rucksack stossen wir mit einem Glas Röteli auf das Erreichen unseres Tagesziels an. Die etwa zweieinhalb Meter hohen Wegweiser schauen noch knapp aus dem Schnee heraus. In der Ferne grüssen die bekannten Bergeller Felstürme und Kletterberge. Den Rückweg auf der gleichen Route, nun alles vorgespurt, legen wir deutlich schneller zurück. Andere Blickwinkel und
einige reizvolle Pulverschneehänge machen den Abstieg ebenfalls zum reinen Vergnügen. Am Spätnachmittag erreichen wir müde, aber zufrieden, unser Hotel in Bivio.
Das Hotel Solaria ist ein charmantes 3-Sterne-Hotel mitten im Dorf. Vater Giancarlo erzählt uns aus seinem spannenden Leben. Er war in jungen Jahren Skirennfahrer und dann ein erfolgreicher Bobpilot. Die weltberühmte Bobbahn von St. Moritz hinunter nach Celerina hat ihn damals nicht mehr losgelassen. Nebst seinem Job als Hotelier war er auch viele Jahre Gemeindepräsident von Bivio und gehörte dem Gemeindevorstand der zusammengelegten Gemeinde Surses an. Das Hotel Solaria führen heute zwei seiner vier Kinder, Gregorio und Giovanna, in vierter Generation. Unsere Gruppe fühlt sich wohl in diesem traditionsreichen Gasthaus. Das ausgezeichnete Essen aus den verschiedenen, hier zusammentreffenden
Kulturen, gibt uns die nötige Kraft für neue Schneeschuhabenteuer.
Naturparadies Alp Flix
Anderntags tragen wir unsere Sportgeräte durch das Dorf Sur, unterhalb der Staumauer des Marmorera-Stausees gelegen, bis zum Einstieg in den Schneeschuhtrail zur Alp Flix. Da der Schnee an den steilen Südflanken zum Teil ins Rutschen geraten ist, bewältigen wir die ersten Höhenmeter auf der Fahrstrasse. Dann folgen wir dem schmalen Trail durch einen engen, bewaldeten Bachtobel. Spärliche Spuren erleichtern die Wegfindung und den Aufstieg. Was für eine Ruhe, nur das Knirschen der Schneeschuhe ist zu hören. Immer wieder ein Stopp, um die Stimmung mit den tief verschneiten Tannen und dem Gemisch aus Wolken und Sonnenstrahlen fotografisch festzuhalten. Nach etwa anderthalb Stunden erreichen wir die Alp Flix. Sie ist ein Naturparadies und ein botanisches und ökologisches Juwel. Die Region ist Teil des Bundesinventars der Hoch- und Flachmoore von nationaler Bedeutung. Jetzt im Winter ist die Hochebene tief verschneit, und von der vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt ist wenig zu sehen. Die zwei Weiler Cuorts und Tigias sind trotz der Abgeschiedenheit zum Teil auch im Winter bewohnt. Wir gehen über sanfte Hänge und die weite Ebene bis zur Kapelle Son Roc. Schneeschuhherz, was willst du mehr? Der Abstieg nach Sur erfolgt über einen Weg durch verschneite Fichten- und Lärchenwälder. Oberhalb des Dorfes toben sich die Geübten noch an einigen steilen «Direttissima-Hängen» aus. Kurz darauf sitzt die ganze Gruppe wiederum zufrieden im Postauto, das uns zurück nach Bivio bringt.