Cinque Terre – die fantastischen fünf
Wie bunte Schwalbennester kleben die fünf Dörfer der Cinque Terre – Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore – an den Felsen der ligurischen Steilküste. Verschlungene Pfade mit atemberaubenden Aussichten aufs Meer führen durchs Hinterland und von Dorf zu Dorf.
verfasst von Jochen Ihle, Wandermagazin SCHWEIZ (01.07.2023)
03. Juli 2023
Riomaggiore gefällt mir ausserordentlich gut. Im östlichsten der fünf Cinque-Terre-Dörfer leuchten die eng aneinandergeklebten Häuser in kräftigen Rot-, Ocker-, Gelb- und Orangetönen. Vom kleinen Hafen im Fischerviertel zwängen wir uns durch die engen Gassen zur Kirche von San Giovanni Battista. Der Blick geht über das bunte Dorf zum Meer, wo am frühen Morgen schon die ersten Boote hinausfahren. Ins Nachbardorf Manarola möchten wir wandern. Allerdings nicht über die bekannte Via dell'Amore, einen in die Steilfelsen gehauenen Fussweg für (verliebte) Spaziergängerinnen und Spaziergänger, sondern auf wenig bekannten Pfaden durchs Hinterland.
Wir verlassen Riomaggiore über eine alte Steinbrücke, dann geht es über steinerne Stufen und an Trockenmauern entlang, vorbei an mediterranen Sträuchern und Weinreben, steil bergauf. Ein Vorgeschmack auf die Wege in den Cinque Terre, die mit teils ruppigen Auf- und Abstiegen aufwarten. Irgendwann schnaufen wir dann durch. Der Weg zieht sich mit wunderbaren Blicken auf das Meer am Hang entlang, ehe er eine scharfe Biegung ins Landesinnere macht.
Groppo heisst der nächste Ort auf unserer Wanderung. Dort befindet sich die Cantina Sociale Coop Agricoltura, die seit 1973 die Mehrzahl der Cinque-Terre-Winzer wirtschaftlich vereint und dem Weinanbau und der Weinerzeugung beachtliche Impulse verliehen hat. Und wir wären nicht mit Imbach-Reisen unterwegs, würden wir dort nicht einen Besuch mitsamt Verkostung machen. Einen kühlen Bianco, einen süssen Sciacchetrà, und Wanderleiter Frank Bumann zaubert aus seinem Rucksack noch ein vorzügliches Picknick, das wir auf der Terrasse der Winzergenossenschaft geniessen dürfen. Wir sagen: Grazie mille! – und kaufen im Laden noch ein Pesto Genovese und eine Patè di olive für zu Hause.
Schon nach kurzer Zeit erreichen wir eine Kirche: Nostra Signora della Salute. Der Kirchenplatz ist weitläufig, die Blicke aufs azurblaue Meer himmlisch. Der Ort dazu heisst Volastra. Frank geht zielsicher in die Locanda Tiabuscion – und kommt wenig später mit einem Tablett voller Espressi heraus. Der perfekte Gastgeber! Vielleicht möchte er uns auch bei Laune halten, denn er weiss bestimmt, was jetzt noch kommt. Denn so, wie es von Riomaggiore am Vormittag bergauf ging, geht es nun wieder hinunter: steil und über endlose Treppenstufen, durch Weinberge und Olivenhaine. Manarola leuchtet in der Spätnachmittagssonne. Verschachtelt und aufeinandergetürmt wie Bauklötze liegen die pastellfarbenen Häuser neben- und übereinander auf einem ins Meer ragenden Hügel. Ich fühle mich wie in einer Miniaturwelt. Die Hauptgasse ist schmal, die Piazza klein und der Hafen so winzig, dass die Fischerboote mithilfe einer Seilwinde aus dem Meer hinaufgezogen und vor den Häusern und Restaurants «parkiert» werden.
Zwischen Bergen und Meer
In die Cinque Terre kommt man nicht zum Badeurlaub. Einzig in Monterosso al Mare, dem grössten der fünf Orte, gibt es einen Sandstrand. In die Cinque Terre kommt man zum Wandern. Und in die Cinque Terre fährt man nicht mit dem Auto. Die Staatsstrasse verläuft abseits, und die fünf Dörfer sind von dieser aus nur durch schmale und kurvenreiche Stichstrassen erreichbar. In die Cinque Terre fährt man mit dem Zug. Und deshalb muss man über diese Bahnlinie reden.
Die Eisenbahnstrecke von Genua nach La Spezia wurde 1874 gebaut, und jedes der Cinque-Terre-Dörfer bekam seinen eigenen Bahnhof. Ausserhalb dieser Bahnhöfe, also zwischen den Dörfern, verläuft die Bahnstrecke fast ausschliesslich durch Tunnels an der Küste entlang. Zwischendurch erhascht man einen Blick aufs Meer, was diese Zugfahrt ganz nebenbei zu einer touristischen Attraktion macht. Teilweise gibt es bis zu drei Verbindungen pro Stunde, was äusserst praktisch ist.
Wir steigen in Vernazza aus dem Zug. Unser Ziel ist dieses Mal das Nachbardorf Corniglia. Von vielen Reiseführern wird Vernazza als das schönste Dorf der Cinque Terre angepriesen, was natürlich Geschmackssache ist. Aber die schaukelnden Boote im Hafenbecken, dahinter die bunten Häuser, gekrönt von zwei historischen Burgtürmen, bilden unbestritten ein harmonisches Ensemble.
Auch der Wallfahrtsweg zum Santuario di Reggio meint es gut mit uns. Er führt nicht ganz so steil bergauf, lässt uns Zeit zum Innehalten. Vor allem der Platz bei der Wallfahrtskirche hat es uns angetan: Steineichen, Zedern, Kastanienbäume und eine jahrhundertealte Zypresse, die als die älteste in Ligurien gilt, beschatten den Platz. Unser Weg wird nun etwas verschlungener, er führt durch Waldstücke, über Bäche und durch kleine Schluchten, dann wieder über offene Terrassenlandschaften, die gesäumt sind von gelb blühenden Ginsterbüschen.
Dieses eindrückliche Land zwischen Bergen und Meer steht als Nationalpark unter Schutz. Dann wieder eine Wallfahrtskirche: Nostra Signora delle Grazie hoch oben bei San Bernardino. Unsere Blicke gehen hinunter nach Corniglia, dem Ziel unserer Wanderung. Corniglia ist das mittlere der fünf Dörfer und das einzige, das nicht direkt am Meer liegt. Stolz wie ein einsamer Wachtposten thront das pittoreske Dorf auf einem Felsen etwa 100 Meter über der Brandung. In den lebhaften Gassen erhaschen wir gerade noch ein Plätzchen für ein kühles Bier. Ganz zu Ende ist unsere Wanderung aber noch nicht. Der Bahnhof von Corniglia liegt weit unterhalb des Ortes. Eine Backsteintreppe, die Scalinata Lardarina, führt hinunter zur Bahnstation – über 33 Rampen und 377 Stufen. Wie könnte es in der Cinque Terre auch anders sein?
Fotos © Jochen Ihle, Wandermagazin Schweiz